Zwei Reisen nach China 1979 und 1981
HERBST 79 UND FRÜHJAHR 81: da fing das Reich der Mitte gerade erst an, sich für Touristen aus dem Westen zu öffnen; bei meiner dritten Reise, ein Jahrzehnt später, war es zu einem auf große Besucherzahlen eingestellten Land geworden. Die Sehenswürdigkeiten, zu denen wir auf den beiden Reisen geführt wurden, lassen sich in der Erinnerung nicht immer auseinanderhalten; freilich ist der erste Eindruck der größere, etwa von der Verbotenen Stadt. Der eindeutige Höhepunkt der ersten Reise war die Terrakotta- Armee bei Xi'an: wir gehörten zu den ersten, die sie - noch in einer vorläufigen Aufstellung - bestaunen durften. Der Höhepunkt der zweiten Reise waren die ungezählten Höhlen des alten buddhistischen Klosters bei Dunhuang mit ihren Buddha-Statuen und vor allem ihren ausdrucksstarken Wandmalereien.
AUCH SONST gab es Vieles zu bestaunen: die Scharen der laut klingelnden Radfahrer in der einheitlichen blauen Kleidung auf den für das Auge ruhigen, nämlich von jeder Reklame freien Straßen; das reiche Warenangebot in den Kaufhäusern, nicht nur in den "Freundschaftsladen"; das schmackhafte Essen; der Fleiß und die Geschicklichkeit der Stickerinnen in der Seidenstadt Suzhou; aber auch Tempel auf dem Lande, verwahrlost, die als Kornspeicher benutzt wurden; überhaupt das Nebeneinander von Denkmälern einer großen Kultur und dem primitiven Alltag der Bevölkerung, z.B. ein Bauer mit dem Hakenpflug neben einem kunstvoll erbauten alten Tempel. Dazu paßte auch die Ahnungslosigkeit unserer jungen Führer, wenn es um buddhistische Bräuche ging, oder ihre angelernte Formel "der buddhistische Aberglauben". Beeindruckend war auch der Eifer der Studenten eines Fremdspracheninstituts, die mit uns deutsch sprechen wollten und es recht gut konnten, ohne jede Zensur
(1979), in kleinen Gruppen, in einem Zimmer für drei Dozenten, kahl bis auf drei kleine Tische und ein an der Wand lehnendes Fahrrad.
DOCH ES GAB einen frappierenden Unterschied zwischen den beiden Reisen: in der Atmosphäre, der Stimmung im Lande, die man spürte, ohne auch nur ein Wort Chinesisch zu verstehen, die man an den Mienen und dem Verhalten der uns begegnenden Chinesen ablesen konnte. Am kürzesten zu charakterisieren wäre sie als Aufbruchstimmung, freudig, voller Hoffnung im Herbst 1979: die Schrecken der Kulturrevolution waren vorbei; die "Viererbande" entmachtet, und nun konnte alles nur besser werden! Hingegen war die Stimmung in Frühjahr 1981 vorsichtig abwartend, illusionslos, mißtrauisch; die Fröhlichkeit von 1979 war nicht mehr zu finden. Wurden wir Ausländer bei der ersten Reise von der Bevölkerung besonders in den kleinen Gassen der Städte freundlich begrüßt, mit
Lächeln und Händeklatschen, so begegneten uns bei der zweiten Reise verschlossene, eher mißmutige Gesichter. Und das, obwohl tatsächlich manches im Lande sich zum Positiven zu verändern schien, z.B. konnten wir Ansätze eines freien Bauernmarktes beobachten.
MANCHES erfuhren wir durch unseren Reiseführer Herrn Jin auf der ersten Reise, er war gewandt, gefällig, gesprächsbereit; seine Kollege 1981 war unzugänglich bis zur Unfreundlichkeit; allerdings begegnete uns da der als Nietzsche-Übersetzer bekannte Dr. Ma als Führer durch den Kaiserpalast (mußte ein solcher Gelehrter Touristen führen?!).
GENAU auf "unseren" Herrn Jin trafen wir 1981 beim Essen in einem großen Hotel und konnten ein kurzes Gespräch mit ihm führen. Er erklärte uns: damals (1979) wurde viel geredet von einem neuen Anfang, von Besserung der Lebensverhältnisse; jetzt hingegen ist an die Stelle dieser Begeisterung eine realistische Sicht der Verhältnisse getreten: man sieht, daß man nicht reden muß, sondern arbeiten, sich anstrengen" Es gibt keine Arbeitslosen, nur "auf Arbeit Wartende"; gibt es Schwierigkeiten in der Versorgung, so "hilft die Regierung". Seinen Optimismus hatte er jedenfalls sich noch nicht nehmen lassen.
I.R.